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Eine kurze Geschichte der mikrobiologischen Forschung der HFGM

von Benjamin Menne

Meiner Erfahrung nach sind zum Verständnis der anzusprechen Zusammenhänge mindestens folgende Vorkenntnisse erforderlich:

Es gibt so vielerlei an Saft

Den schlimmen Durst zu stillen

Im Wein ist Wahrheit

Im Bier ist Kraft

Im Wasser sind Bazillen.

Wenn man von Berchtesgaden zum Watzmann schaut, dann sieht man diesen riesigen Haufen Fels. Totes Gestein, wie man meint. In Wirklichkeit ist da drin im Gebirge alles lebendig, die Klüfte und Spalten sind überzogen von dünnen Schichten Leben, Filmen voller Organismen, Bakterien eben. "Bakterien? Da wird man doch krank davon!" In Wirklichkeit wären wir ohne sie gar nicht am Leben.

Und auch diese lebenden Filme im Gestein, über die das Regenwasser rinnt wenn es auf die Hochflächen des Nationalparks fällt, wenn der Schnee im Frühjahr schmilzt und durch die Ritzen und Spalten des Gesteins in die Tiefe sickert, sie entziehen dem Wasser Schadstoffe, halten andere Bakterien fest, verändern die Qualität des Wassers. Das kann man messen, wenn es an den Quellen im Nationalpark wieder zutage tritt. Einige der Bakterien aus diesem Film lösen sich vom Gestein, wandern mit zur Quelle: sie stammen aus dem Berg und sind Teil seiner natürlichen Lebewelt. An den Quellen messen wir sie als Keimzahlen pro Milliliter.

Schon Anfang des vorigen Jahrhunderts hat man erkannt, dass es im Karst und in Höhlen Bakterien gibt. Es wurde auch darüber nachgedacht, dass sie etwas mit der Höhlenbildung zu tun haben könnten. Dann fand man überzeugende chemische Erklärungen, später folgte das Stichwort "Mischungskorrosion". Professor Bögli und seine Theorien bestimmten das Weltbild der Karst- und Höhlenforscher in Mitteleuropa. Er hat niemals geleugnet, dass es Bakterien in Höhlen gibt, jedoch behauptet, das sie keine Rolle spielen bei der Auflösung des Gesteins. Diese Behauptung hat mich schon vor meiner Studienzeit noch als Gymnasiast gereizt. 1985, im dritten Semester Biologie habe ich einen Professor gefunden, den ich überzeugen konnte, dass man Bakterien in Höhlen erforschen müsse. Er war Spezialist für die Ökologie von Myxobakterien. Seit 1983 war ich zudem schon mit der HFGM am Wildpalfen höhlenforschend tätig. 1985 habe ich die ersten Sedimentproben aus den Höhlen des Wildpalfen mitgebracht.

Und wir haben darin erstmals auf der Welt subterrane Myxobakterien nachgewiesen. Mit diesem Befund hat der Professor mich dann noch vor dem Vordiplom gleich zu wissenschaftlichen Kongressen mitgeschleppt. 1986 haben wir uns die Wände der Höhlen mal näher angesehen, und es wurde klar: das ist alles total voll von Leben. Die Forschung verlagerte sich nun zunächst auf die Frage, ob die Bakterien tatsächlich unter Tage leben, oder ob wir nur die eingeschwemmten Dauerstadien (Sporen) nachgewiesen haben, sozusagen das Treibgut der Wässer des Hochgebirges. Die meisten der Leute auf den Kongressen haben das behauptet. Und auch so veröffentlicht, z.B. in "dem" mikrobiologischen Standardwerk "The Prokaryotes".

Der Professor hat mich weiter forschen lassen, im Nationalpark und in seinem Labor. Es gab tatsächlich gewichtige Argumente für die "Treibgut"-Interpretation. Myxobakterien sind extrem hoch entwickelt. Sie haben einen sehr komplizierten Entwicklungszyklus. Und man hatte in der Literatur keine Nachweise, dass sie bei Temperaturen unter 15 Grad Celsius überhaupt noch wachsen können. Im Wildpalfen und seinen Höhlen liegt die mittlere Jahrestemperatur aber um die 1,5 Grad Celsius, und es ist niemals wärmer als 2,5 Grad Celsius.

Zu kalt zum Wachsen? Von 1987 an habe ich aus Höhlensedimenten des Wildpalfens Reinkulturen einer Myxobakterien-Art, der häufigsten, isoliert. Dann haben wir diese Reinkulturen bei 14 Grad, 10 Grad und 6 Grad Celsius wachsen lassen. Und siehe da! Sie wuchsen, und sie machten ihren kompletten Lebenszyklus durch. Somit hat man hier im NP weltweit erstmals die Existenz solch kältetoleranter Myxobakterien nachgewiesen. Die Gegenprobe mit Stämmen der gleichen Art aus den Böden auf dem Gipfel des Wildpalfen zeigte, dass diese nicht bei 10 Grad und 6 Grad Celsius wachsen können. Da drin im Berg passen sich die Arten also systematisch an die Lebensbedingungen an, verändern die Eckdaten ihres Lebens. Jedenfalls wurde uns klar, das kein Zweifel daran bestehen konnte, dass der Berg in seinem Innern lebt.

Heute ist das in der Wissenschaft eine bekannte Tatsache. Unsere Publikation von 1988 gehörte zu den ersten, die diese Tatsache konsequent vertreten hat.

Zunächst lag unser Fokus auf den geologischen und biologischen Konsequenzen dieser Beobachtungen. Erst danach dämmerte es uns, dass dieser Film von Lebewesen im Berg eigentlich nichts anderes ist als das, was man als Ingenieur in Form eines Tropfkörpers zur Abwasserreinigung baut. Der Karst als Tropfkörper! Bislang hatte man immer davon gesprochen, dass die Bakterien in den Karstquellen von aussen stammen müssen. Eingeschwemmt und als Schadstoffe zu betrachten. Jetzt wurde klar, das kann nicht sein. Was man an den Quellen wiederfindet, das muss eine Mischung sein aus dem, was von Aussen kommt und aus dem, was innen in den Biofilmen wächst. Und es wurde auch klar, dass die Wirklichkeit anders aussieht als das, was man in den Lehrbüchern über den Zustand der Kontaktfläche Kalkstein und Karstwasser sehen konnte. Da wo das Gestein aufgelöst wird, da befindet sich in Wirklichkeit noch ein Film aus lebender Materie ...

(Fortsetzung folgt)

 updated: 12.03.03

 

 

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